Wie real ist Fotografie? Wie real ist Leben?
Als bergischer Flaneur habe ich oft die drei Städte Remscheid, Wuppertal und Solingen besucht. Aber die Flaniererei bzw. die Flanerie war jahrelang eher die Suche nach dem Dokumentarischen an einem Ort zu einem Zeitpunkt bis es sich nach dem Ende dieses inneren Drangs auflöste. Die Loslösung vom Umfeld veränderte sich zur fotografischen Gestaltung des Umfelds.
Von 2012 bis 2014 (knapp 3 Jahre) habe ich versucht, möglichst täglich einen Eindruck aus dem öffentlichen Raum festzuhalten, der eine Geschichte erzählt.
Daraus entwickelte ich einige Bücher mit Stadtansichten, die Räumlichkeit und Zeitgeist zeigen.
Einzelne Ausstellungen mit digitalen Experimenten waren z.B.:
- Konfrontation zwischen neuen Fotos und alten Bilderrahmen
Confrontation between young photos and old frames
Ab 2015 habe ich eher tagesaktuelle Texte und Fotografien publiziert und dies als visuelle notizen zusammengefaßt
Darin ist viel Sammelsurium und viel Spielraum aus dem dann wie in einem Garten die reifen Früchte oder die besonders individuellen oder aussagekräftigen Fotografien geerntet wurden.
Dabei waren Kriterien
- entweder die Dokumentation einer speziellen Entwicklung,
- einer speziellen sozialen Verhaltensweise oder
- einer Symbolik für den sozialen Zeitgeist.
Weil viele der Fotos Dinge zeigen, die sonst nirgendwo festgehalten wurden und die Fotos
- ungestellt und
- authentisch sind und
- Geschichten erzählen,
habe ich mich entschlossen, ein digitales Museum zu gründen, um sie dort auszustellen:
Diese regionale Fotografie ist zugleich über-regionale visuelle Geschichtsschreibung und Einmischung in die Gegenwart und Zeitgeist-Fotografie.
Sie ist alles das, was Fotos sein können in der Kombination mit einigen sozialen Gebrauchsweisen. Interessanterweise wechseln die Fotos innerhalb weniger Jahre auch ihre Aussage. Während die Fotos zu Beginn das zeigen, was jeder auch draussen sieht, ist in der Regel spätestens drei Jahre danach dasselbe Foto ein Foto, das zeigt, was nicht mehr so zu sehen ist und anders wirkt.
Nun bin ich im 7. Jahr dieser Entwicklung und darf dies alles als Lernprozess mit einiger Zufriedenheit und Abstand betrachten. Gerade der Abstand führte dann zur Loslösung.
Und so entdeckte ich das Flanieren als Typ bzw. Rolle und Methode.
Es ist freies Fotografieren, es ist zwangfreies Gehen ohne Ziel aber mit Rahmen, es ist die Entdeckung der Langsamkeit als Voraussetzung neuer Freiheit, um selbstbestimmt sozial zu sein und zu handeln.
Das ist ein von mir weder angestrebtes noch vorhersehbares Ergebnis gewesen.
Aber die Rolle, die ich einnahm und die sich immer aus mir und dem Erlebten ergab, war wichtig als Rahmen meiner Aktivität. Die selbst auferlegte Pflicht, einige Jahre täglich ein Foto aus dem öffentlichen Raum zu fotografieren, selbst wenn er nichts hergab, veränderte meine Sicht auf die Dinge und ich sah das Konkrete anders.
- Der Übergang vom täglichen Foto zum wichtigeren Thema im öffentlichen Raum zu einer bestimmten Zeit setzte meine Fotografie in ein neues Verhältnis zur Lebenszeit und wurde so zur Zeit meines Lebens.
- Die Ablösung von diesen sozialen Rollen und der eigenen Verpflichtung des Dokumentierens mit der Fotografie gab mir endlich Freiheit. Bisher war es immer und überall möglich entscheidende Momente auf der Straße zu finden und so dominierte mich dies. Aufmerksam und wach zu sein war entscheidend für diese Art der Wahrnehmung.
- Beim Flanieren ist für mich das Beobachten nicht mehr an den Zwang gebunden, den entscheidenden Moment einer Situation festzuhalten sondern ich halte fest, wenn für mich der entscheidende Moment gekommen ist. Die Momente bestimmen nicht mehr mein fotografisches Handeln sondern ich bestimme meine Sicht auf das Soziale in Momenten.
Flanieren ist für mich die Freiheit nicht mehr fremdgesteuert zu fotografieren.
Und so ist aus meiner regionalen Rolle als Wupperlens die Freiheit des Flanierens geworden im 7. Jahr.
So wandelt es (Es) sich.
Rein technisch bin ich auch freier geworden. Filtermix und Smartphone gehören ebenso dazu wie Festbrennweite und monochrome Bilder. Denn je nach Tag und Ausdruck sollten auch die Fotos sein.
Und deshalb fahre ich jetzt auch an den Rhein, die Mosel und werde noch woanders sein…
falls meine lebensumstände dies zulassen …