Vor einigen Jahren kaufte ich mir ein Sigma 19mm F2.8 und eine Olympus E-M10 II. Mit 38mm spiegellos unterwegs macht Spass, auch wenn der mittige Sucher nicht so mein Fall ist. Dafür war es aber der bewegliche Bildschirm auf der Rückseite.
Und nun kam das Fuji XC 35mm F2 an der X-T100 hinzu.
Als ich es aufgeschraubt hatte, verglich ich beide Systemkameras und stellte fest, daß sie griffig und kompakt sind. Sie sind aber nicht griffiger und kompakter als viele Kleinbildkameras zu analogen Zeiten. Das liegt aber daran, daß sich die Menschen seitdem mit ihren Händen und Körpern nicht verändert haben.
Was besser geworden ist als früher ist die Möglichkeit, zusätzlich einen Bildschirm zu nutzen, der beweglich ist. Deshalb sind die Gehäusegrößen von damals heute vielseitiger einsetzbar.
Und so ist das Neue unter Einbeziehung des Alten entwickelt worden und ich finde es gut. Das ändert nichts daran, daß ich lieber an der linken Seite einen Sucher habe. Aber unter Nutzung des Bildschirms ist das Fotografieren mit diesen Kameras wunderbar.
Aber sie sind eben nicht mehr die sozial besten Werkzeuge für unauffälliges Fotografieren auf offener Straße, weil sich die Wahrnehmung bei den Menschen geändert hat.
Wenn du ein Smartphone in der Hand hältst, kannst du fast machen, was du willst und du kannst ziemlich offen unauffällig fotografieren.
Wenn du aber eine Kamera hältst, wirst du zum Objekt der Beobachtung. Da geht es dann um Stadt, Land, Fluss oder soziale Situationen, in denen es auch auffällig erlaubt ist.
Dazu passt wunderbar der Katalog der Deutsche Bank Collection über „Time Present“.
„Mit »Time Present« zeigt die Sammlung Deutsche Bank erstmalig einen Querschnitt ihrer 5.000 Werke der zeitgenössischen Fotografie. Die Ausstellung spiegelt das Engagement der letzten vier Jahrzehnte und zeigt beispielhaft dessen Entwicklung: den Weg von der jungen Gegenwartskunst aus dem deutschsprachigen Raum hin zur globalen Ausrichtung mit den Schwerpunkten Großbritannien, Italien, den USA, Japan, China sowie vielen afrikanischen Ländern.
Standen einst junge deutsche Positionen der Düsseldorfer Schule wie etwa Andreas Gursky, Candida Höfer, Axel Hütte, Thomas Ruff und Thomas Struth sowie auch Arbeiten von Lothar Baumgarten, Gerald Domenig, Günther Förg, Jochen Gerz, Astrid Klein, Raimund Kummer, Hermann Pitz und Wim Wenders im Fokus, so öffnete sich die Sammlung im Laufe der Jahre sukzessive für erste afrikanische Positionen wie etwa Zohra Bensemra und Samuel Fosso, aber auch Werke der Asiaten Miwa Yanagi oder Cao Fei gehörten bereits zum Bestand bevor diesen der internationale Durchbruch gelang.
»Kunst soll herausfordern und nicht nur sinnliche und ästhetische, sondern auch intellektuelle Erfahrungen ermöglichen«, so Anke Hallmann, Leiterin des Bereichs Kunst, Kultur und Sport der Deutschen Bank. Dass »Time Present« die Geschichte der internationalen Gegenwartsfotografie deshalb nicht einfach chronologisch oder geografisch geordnet erzählt, sondern in den Kontext von Zeit einbettet, passt gut zu dieser Haltung. Jeder Moment ist einmalig. Das beschreibt der französische Philosoph und Schriftsteller Roland Barthes in seinem 1980 erschienenen Essay Die helle Kammer, einem Standardwerk der Fotografie im 20. Jahrhundert: »Was die Fotografie endlos produziert, hat nur einmal stattgefunden: sie wiederholt mechanisch, was sich existenziell nie mehr wird wiederholen können.«
Genau diese Erfahrung – das Bewusstmachen des Augenblicks und des gleichzeitigen Flusses der Zeit – steht im Mittelpunkt von »Time Present«. Es geht nicht um einen Blick zurück, sondern um das Hier und Jetzt. Das spiegelt sich auch in den oft philosophischen Dimensionen der Fotokunst wider. Die kritische Aufarbeitung kolonialer Geschichte und historischer Gewalt, die Utopien und Visionen, die viele Werke formulieren, sagen oft mehr über die jeweilige Gegenwart aus, als über Vergangenheit oder Zukunft.
Der im Kerber Verlag erscheinende flankierende Katalog und mehr als 200 Seiten umfassende Katalog erhält zahlreiche Abbildungen sowie Essays von David Campany, Eddy Frankel, Friedhelm Hütte, Oliver Koerner von Gustorf, Michket Krifa und Mariko Takeuchi.
Künstler*innen
Shirin Aliabadi, Kader Attia, Yto Barrada, Bernd & Hilla Becher, Zohra Bensemra, Mohamed Camara, Cao Fei, Susan Derges, Samuel Fosso, Andrea Galvani, Gauri Gill & Rajesh Vangard, Andreas Gursky, Siobhán Hapaska, Mathilde ter Heijne, Candida Höfer, Ottmar Hörl, Axel Hütte, Zhu Jia, Idris Khan, Martin Liebscher, Julio Cesar Morales, Andreas Mühe, Roman Ondak, Adrian Paci, Sigmar Polke, Jo Ractliffe, Gerhard Richter, Anri Sala, Viviane Sassen, Gregor Schneider, Tokihiro Sato, Anett Stuth, Hiroshi Sugimoto, Amalia Ulman, Wim Wenders, Miwa Yanagi“
Die Ausstellung im PalaisPopulaire untersucht die fotografische Auseinandersetzung mit dem Zeitgeschehen und dem Phänomen der Zeit. Da die Ausstellung wegen Corona geschlossen ist, hat man nur den Katalog, aber der ist ein Studium wert.
Denn er zeigt den Stellenwert von Fotografie anhand vieler Beispiele aus dem Bestand der Deutschen Bank. Hinzu kommt, daß man sieht, was als kauffähige Fotografie angesehen wird. Cartier-Bresson kommt nicht drin vor außer in einer Anmerkung.
Wenn man ein Foto gemacht hat, dann ist dieser Moment vorbei aber das Foto mit dem Moment ist in der Zeit danach noch da. „Fotografie bezieht sich auf die Vergangenheit und Zukunft nur insofern beide in der Gegenwart präsent sind“ wird John Szarkowski zitiert, der lange das MOMA in New York leitete.
So ist es auch mit den Kameras. Ihre Form kommt aus der Vergangenheit, ihre Technik kommt aus der Gegenwart und die aktuellen sozialen Situationen sind anders als damals.
Das ist das Heute, das wir jetzt in Fotos festhalten können, die morgen dann als Teil der Vergangenheit präsent in der Gegenwart sind, die heute noch die Zukunft ist.
Ich bitte um Entschuldigung für diese Auseinandersetzung mit dem Thema Zeit, aber es hat mich gerade mehrfach berührt.
Erst sah ich per Zufall den Film Lucy, der dies alles thematisierte, dann stieß ich auf den Katalog Time Present und danach bemerkte ich bei der Beschäftigung mit dem neuen Fuji Objektiv die Zusammenhänge in der fotografischen Entwicklung, die in dem Katalog gut beschrieben sind, auch wenn der sich natürlich rein an den Gegenständen orientiert, die die Deutsche Bank gekauft hat.
Aber der Katalog lohnt sich, deutsch-englische Texte, viele Erläuterungen, gute Fotos – auch von Installationen.
Er vermittelt ein Gefühl von Zeit und dem eigenen fotografischen Handeln in der eigenen Lebenszeit und gibt Hinweise auf die sozialen Gebrauchsweisen von Fotografie vom Kaufobjekt bis zur Frage, was man selbst für wichtig hält.