Soziale Aufmerksamkeit mit einzelnen Fotos bekommt man, wenn man Orte fotografiert, die im kollektiven Bild-Gedächtnis der Menschen sind.
Das kann New York oder Paris sein aber nicht Remscheid.
Das nachfolgende Foto ist in meinen Augen so ein meisterhafter Moment, der im Foto festgehalten wurde:
Aber eben nicht in Paris sondern in Remscheid auf der Alleestrasse.
2013 war dort ein Riesenrad an der sog. Zange. Es war nebelig und trostlos aber das Riesenrad versprach Aufheiterung in dieser trüben Zeit. Und die gesamte Komposition und Struktur des Fotos wird monochrom wunderbar sichtbar.
Es wurde mit einer Ricoh GR Digital III aufgenommen, die einen CCD Sensor hat und dadurch sehr gute Fotos ermöglichte.
Da es in Remscheid ist, konnte dieses Foto bis jetzt kein fotografischer Knaller werden.
Aber Remscheid könnte ein deutsches New Jersey sein und da war Henri Cartier-Bresson auf seiner letzten großen Fotoreise: „The photographer felt that New Jersey’s anywhere-ness, its density and diversity, was “a kind of shortcut through America.” With that prompt, Evans assembled an itinerary. „
Das Foto ist auch sozialhistorisch interessant, weil es Remscheid an dieser Stelle ein Gesicht gibt, das die Stadt sonst nicht mehr hat.
Denn Remscheid liegt sozusagen in Amerika. In dem oben verlinkten Artikel steht: „Jersey was the place between the places you wanted to be.“ – google: Jersey war der Ort zwischen den Orten, an denen du sein wolltest.
Das ist heute Remscheid.
Aber es geht noch weiter:
„Was glauben Sie – schaffen die architektonischen Umstände die sozialen Verhältnisse, oder ist es umgekehrt?
Elmar Haardt: In Deutschland hat der Krieg diese architektonischen Umstände geschaffen. Diese ganzen gesichtslosen Zweckbauten sind in den 20 bis 30 Jahren nach dem Krieg entstanden …
… aber in den USA kann man die Bausünden ja nicht auf Kriegsschäden zurückführen
Elmar Haardt: Nein, das ist eine freiwillige Ödnis, sozusagen.“
Diese Gedanken sind aus aus einem Interview mit dem Ethnologen Elmar Haardt.
Er fügt noch hinzu: „Ich habe Europäische Ethnologie studiert und mich in meiner Magisterarbeit ausführlich mit dem Thema Gentrifizierung beschäftigt. Man kann das Ganze auch positiv sehen – abgesehen von den Begleiterscheinungen wie überteuerte Mieten et cetera. Für einen Stadtteil kann es auch von Vorteil sein, wenn er sozial durchmischt ist. Wenn zum Beispiel Kinder aus sogenannten bildungsfernen Familien mit Akademikerkindern zusammen in die Schule gehen. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Ich bin in Essen in einem sozialen Brennpunkt aufgewachsen. Heute bin ich darüber sehr froh, weil ich eine Menge gelernt habe.“
Hier sind zwei wesentliche soziale Probleme von Remscheid angesprochen.
Sie zeigen den Abstieg der Industrie und der Menschen und die Stadt ist genau so ein Pflegefall geworden wie die meisten Menschen, die dort noch wohnen.
Dies zu dokumentieren ist sozialhistorisch gut aber finanziell schlecht, weil es nichts einbringt außer Öde und Leere bis ins Portemonaie.
Und das Foto oben zeigt das, was Remscheid einmal war: eine florierende Industriestadt mit viel Technik und Menschen, die hier gerne lebten – trotz schlechtem Wetter.
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