Das digitale Negativ gab mir immer Sicherheit, weil ich daraus selbst mit Software die digitalen Positive entwickeln konnte, das fertige Bild.
RAW´s gaben wieder, was der Sensor aufnahm. Das Pure dabei war so wie früher beim analogen Film die Chance, daraus selbst unter eigenen Vorgaben Fotos zu entwickeln.
Das ist bei immer mehr Kameras und Smartphones heute anders.
Fotografisch auf den Punkt gebracht steht dies so in einem Artikel: „„Computational Raw”: Digitale Negative auf Google-Art. Raw – für versierte Fotografen das Datenformat der Wahl. Es handelt sich dabei um die Aufnahme, wie sie direkt vom Sensor stammt, bevor softwareseitige Bildverbesserer wie Farb-, Schärfe und Kontrastanpassungen das Ergebnis in ein komprimiertes JPG pressen. Der Vorteil dieser „digitalen Negative”: Sie enthalten wesentlich mehr Informationen für die manuelle Bildbearbeitung. Das Google Pixel 3 erlaubt Dir, Fotos als Quasi-Rohaufnahme in Adobes DNG-Format zu speichern – mit nur dezenter Bildverbesserung. Wie bei HDR dienen hier mehrere hintereinander geschossene Aufnahmen dazu, Bildrauschen zu minimieren und Farben zu verbessern. Der Rest bleibt unangetastet, weshalb Du so eine optimale Grundlage für eigene Bildbearbeitung hast, etwa mit Snapseed.“
Raw wird also zu computational Raw, das zusammengerechnet eine „Quasi-Rohaufnahme“ wird. Das ist die neue Zeit mit ihren neuen Möglichkeiten.
Martin Eisenlauer hat dies vor kurzem in der fotografischen Lebenspraxis so beschrieben: „In meiner Erinnerung an die jeweiligen Momente sah die Welt bei Weitem nicht so perfekt aus wie auf den Bildern im Handy. Auf den Fotos ist der Himmel immer ein wenig blauer, die Blumen sind bunter, das Licht weicher, und die Gesichter haben weniger Falten.
Ist das Kunst? Nein. Es ist künstliche Intelligenz. Geht man davon aus, das Fotografie die Realität abbildet, schießen aktuelle Smartphones eigentlich gar keine Fotos mehr. Vielmehr schaffen sie kleine digitale Kunstwerke. Die Aufnahmen sind nicht mehr die Summe der Lichtwerte, die ein Sensor misst. Ausgeklügelte Algorithmen untersuchen jeden einzelnen Bildpunkt, verbessern Farbwerte, Kontrast, Belichtung und Blende. Die Fotos sind das Ergebnis von Tausenden Optimierungsschritten, die in Sekundenbruchteilen berechnet werden. …So können wir uns alle an den wundervollen Bildern erfreuen, die von schlauen Systemen für uns gezaubert werden. Und vielleicht halten wir uns beim Betrachten der Aufnahmen sogar für einen guten Fotografen. Nur eines sollten wir nicht vergessen: Bilder zeigen immer nur eine digital optimierte Version unseres Lebens.“
Herr Eisenlauer hat es sehr schön auf den Punkt gebracht. Wir sehen eine digital optimierte Version unseres Lebens und viele halten Grautöne und Zwischentöne für fatal.
Daraus ergeben sich natürlich Fragen für die Wahrnehmung von Wirklichkeit bei sich und bei anderen. Das fängt damit an, daß man sich selbst nicht mehr im Spiegel sieht, sondern sein Spiegelbild digital optimiert im Selfie.
Das Smartphone wird der Blick auf die Welt. Man blickt nicht mehr durch den Sucher und gibt der Welt einen Rahmen, sondern was aus dem Smartphone digital optimiert kommt, ist der Blick auf die Welt.
Das sieht man ja auch ganz praktisch, weil die Menschen auf die Handys schauen und so die Welt in ihrem Kopf entsteht und das den Blick über die Grenze des Smartphones hinaus dann prägt.
Ist das Leben perfekt oder ist erst die digitale Version mit der Illusion des perfekten Lebens real?
Anika Meier hat es gut beschrieben. Immer mehr soziale Kommunikation findet als social Kommunikation statt. Die Wahrnehmung der Welt erfolgt über die „Brille“ des Smartphones und das visuelle fotografische „Sprechen“ über das Smartphone.
Die Unterscheidung zwischen der Innenwelt und der Außenwelt wird im Kopf ersetzt durch die „Wahr“nehmung der Innenwelt als Außenwelt.
Irreal gilt als „wahr“ weil die Wahrnehmung im Kopf real ist, aber das, was wahrgenommen ist, digital ist.
Es ist irgendwie so wie beim Porno gucken statt selbst Liebe zu machen.
Diese neue Dimension des Realen bestimmt immer mehr unser soziales Leben. Sie ist für die Menschen, die so leben, ihr Leben – andere würden sagen, es ist ein Lebensersatz. Weil aber die Lebenszeit real ist, ist dies ihr reales Leben, ist es vielfach wachsender Teil unser aller Leben …
Was tun?
Am Besten neue Bilder machen, die die neue Realität zeigen und die echte alte Realität. Das ist etwas paradox, aber wenn ich digital optimierte Bilder des sozialen Lebens machen kann, dann sind auch die negativen Seiten digital optimiert schön schrecklich anzuschauen. Schrecken kann man nicht digital optimieren sondern den fotografierten Schrecken digital damit nur noch digital schrecklicher machen.
So sind schöne Bilder schöner und schreckliche Bilder schrecklicher. Die Frage ist aber, ob man das Schreckliche digital noch sehen will? Denn digital kann man ja ausblenden, was man nicht sehen will. Das geht so einfach im tatsächlich vorhandenen Leben nicht.
Damit sind wir in der digitalen Matrix, die wir verlassen müssen, wenn wir echt sein wollen.
Denn wir leben in echt – auch in digitalen Zeiten.
Wer als „echt“ aber nur sein digitales Leben empfindet, lebt auch echt – aber digital.
So ist das eigene Leben der eigene Lebensversuch und wie man lebt die Antwort darauf.
Aber eigentlich ging es mir um die Frage, was heute Rohformat – RAW – bedeutet.
Die Antwort ist eindeutig zweideutig.
Wenn man es weiß, kann man damit vielleicht besser leben – und fotografieren.
Also ein bischen Hand anlegen möchte ich schon noch in der digitalen Dunkelkammer.
Alles der KI überlassen, macht einfach keinen Spaß
LG Bernhard