Heute habe ich wieder in einer Promotion aus dem Themenbereich der Fotografie gelesen.
Danach habe ich mich entschlossen, damit aufzuhören. Nicht weil die Dissertationen „schlecht“ sind sondern weil sie für meine fotografische Praxis so gut wie keine Erkenntnisgewinne mehr bieten.
Fast alle müssen erst beweisen, daß sie die in ihrem Fachbereich verbreiteten Theoretiker gelesen haben und dann fangen sie damit an, mit einer Methode eine These abzuklären und zum Schluß kommen dann die Sätze, daß es nun bewiesen sei aber es noch viele Forschungslücken gäbe.
Ich finde diese Dissertationitis mittlerweile weder wissenschaftlich nützlich noch persönlich bereichernd. Wissenschaft schafft Wissen ohne Gebrauchswert. Das ist in sozialen Wissenschaften ziemlich dämlich und wäre wohl nur sinnvoll bei Grundlagenforschung, um Dinge auszuschließen.
Meine Fähigkeit schwierige Dinge auf einfache Art auszudrücken hat auch mir selbst genutzt.
Und hier bei der Dokumentarfotografie ist die Wahrheit ja ganz einfach.
Ich habe das mal in einer Buchrezension so ausgedrückt:
„Wie kommt es eigentlich, dass die älteren Texte i.d.R. viel lesbarer sind als die neueren Texte?
Die älteren Texte sind ja nicht unwissenschaftlicher sonst wären sie in dem Buch nicht vertreten. Sie sind aber sofort verständlich, auch wenn man nicht Linguistik oder andere Fächer studiert hat. Ketzerisch könnte man sogar sagen, dass man die älteren Texte auch lesen kann, wenn man „nur“ fotografiert und nicht studiert.
Daher ist das Buch auch empfehlenswert, wenn man einmal unverständliche wissenschaftliche Texte der letzten 40 Jahre und verständliche wissenschaftliche Texte aus der Zeit davor (zum Teil auch in dieser Zeit) lesen möchte.“
Und es ist bei den neuen Dissertationen nicht besser geworden. Ich vermute sogar daß viele gar nicht verstehen, was sie da schreiben in der jeweiligen Fachsprache. Und wenn sie es verstehen, dann fragt man sich, welche Rolle Fotos haben, wenn die Wörter zu den Fotos so sind, daß man gar nicht weiß, was es bedeuten soll.
So haben die sog. wissenschaftlichen Werke haben als Erkenntnisquelle bei mir immer mehr abgenommen – sorry.
Denn die meisten Promotionen sind fast nur noch zielorientierte Aneinanderreihungen einer Textstruktur zum Erreichen eines akademischen Titels geworden und fast gar kein echtes kreatives Werk, das zur Umsetzung mit der Kamera geeignet ist.
Hinzu kommt diese Beliebigkeit in der Interpretation. Fast jede Dissertation nimmt ein anderes Schema von einem anderen Professor, das dann auf Fotos angewandt wird. Und dieser pictorial turn oder visual turn turnt mich jedenfalls mittlerweile nicht mehr an sondern schmeckt schon beim Lesen schal.
Daher sind Texte immer gut, wenn sie als Sachtexte Wissen vermitteln oder als Feuilleton unterhalten. Der Magazincharakter ist da vielleicht ein Maßstab, der gelten kann. Texte, die informieren und anregen und Fotos, die etwas zu sagen haben oder dokumentieren.
Dafür gibt es andere Bücher, die meisten leider nur auf Englisch, die Texte haben, welche wirklich Erfahrung und Fotopraxis miteinander vereinen und ein wahrer Lesegenuß sind.
Vielleicht ist die Magazinsprache die wahre Fachsprache. Die versteht fast jeder. Im Prinzip ist es das Fachwörterbuch andersrum. Statt ein Fachwort nachzuschlagen könnten Autoren so schreiben wie es die Fachworterklärungen in den Büchern vormachen und schon wäre Wissenschaft transparent und verständlich – gerade in Sozialwissenschaften. Denn Wissenstransfer setzt ja gerade voraus, das man versteht, was gemeint ist.
Und wissen Sie was?
Offenkundig stehe ich mit dieser Auffassung nicht allein da:
„Erstens unterwirft sich das Werk freiwillig und konstruktiv einer Ästhetik der Lesbarkeit; zweitens verzichtet das Werk auf den metasprachlichen Code; drittens ahmt das Werk andere Autoren nicht nach und verzichtet auf ein komplexes System unsichtbarer Anführungszeichen.“
Raten Sie mal wer diese „Schreibweise der Einfachheit“ gefordert hat: es war Roland Barthes, einer der bekanntesten Fototheoretiker. Das sagte er am Ende seiner letzten Vorlesung zwei Tage vor seinem tödlichen Unfall.
So wird aus dem Denken in der Provinz die Bühne der Welt.
Für mich ist das Nachdenken über Fotos oder die gedankliche Beschäftigung mit einem Foto wichtig. Und ohne viel Wissen über Fotografen damals und Gedanken zur Fotografie wäre es für mich nicht möglich, so zu sehen, so zu denken und so selbständig zu urteilen.
Aber das war ein Wechselspiel von Denken und Fotografieren und die Gedanken waren fast immer in klaren Worten aufgeschrieben. Dann war es dieses Wechselspiel zwischen praktizierter Fotografie und dem Lesen über die Technik, die Wahrnehmung und die Anwendung in allen Lebensbereichen, welche für mich fruchtbar wurde.
Später entdeckte ich genau dies in einem Interview mit Alex Webb, der darauf hinwies, daß Fotos uns ermöglichen etwas visuell zu verstehen, was wir dann auch intellektuell verstehen wollen. Das ist genau das Zusammenspiel von Text und Bild, das ich vorher beschrieben habe. Es hört nie auf.
Ohne andere Texte und Fotos wären Artikel wie dieser hier für mich nicht möglich gewesen. Aber dabei handelt es sich eben nicht um Dissertationen sondern um gelebte Fotopraxis, die textlich dann einen Rahmen erhält, der ihre soziale Funktion zeigt.
Das gilt noch stärker im Bereich der Streetfotografie. Da gehörte für mich viel Hirnschmalz zu und natürlich die Beschäftigung mit anderen Fotografen. Aber dann war es auch dort genug der Theorie und es kam die Anwendung der Theorie in der Praxis.
Das ist dann für mich der Weg und wenn der Weg mein Ziel bleibt und ich unterwegs sein kann, dann bin ich angekommen.
Damit komme ich zur Praxis.
Wie stark Text und Bild zusammenhängen, möchte ich an dem Foto dieses Artikels demonstrieren. Auch hier kommt es auf den Text bzw. die Bildunterschrift an.
- Bildunterschrift – Randale nach Alkoholgenuß
- Bildunterschrift – Immer mehr Einbrüche
- Bildunterschrift – In der Nähe eines Asylantenwohnheims
Was stimmt wohl?
Sie merken schon wie unterschiedlich auch Sie sofort assoziieren.
Deshalb sind Texte bei Fotos so wichtig in Theorie und Praxis. Sie helfen einzuordnen und sie helfen mir und anderen wenn sie aus der Praxis für die Praxis sind und dazu dienen, Wissen weiterzugeben und nicht zu verstecken.
Meine Texte sind zwischen Feuilleton und Fachtexten angesiedelt, die Wissenschaft zu Wissen für die Praxis machen.
Der Worte sind genug gewechselt.
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