„Martina Mettner hat in ihrem Buch Fotografie mit Leidenschaft dem Buch The Americans und der Person Robert Frank ein ganzes Kapitel gewidmet. Sie schildert dort wie Fotografie mit Leidenschaft echte Leiden schafft. Das Buch hatte eine Druckauflage von 2600 Exemplaren von denen 1100 verkauft wurden und Robert Frank verdiente damit ca. 800 Dollar.
Für das Buch erhielt er öffentlich viel Prügel und das Buch wurde zerrissen. Einzig der New Yorker urteilte über das Buch, dass es „die Charakteristik des amerikanischen Lebens … mit brutaler Sensibilität entblößt.“
Danach verschwand das Buch in der Versenkung.
Erst mehr als zwanzig Jahre später wurde es 1978 durch den einflussreichen John Szarkowski rückblickend zum wichtigsten Fotobuch in der amerikanischen Fotografie der 50er Jahre erklärt.“
So habe ich es in einem Artikel vor einigen Jahren aufgeschrieben.
Robert Frank hat nach diesem Buch was anderes gemacht, weil er von der Fotografie nicht leben konnte. Und nun lese ich in dem kleinen Buch von Wolfgang Kemp „Die Geschichte der Fotografie“ folgendes: „…aber die wichtigsten Etappen der Fotogeschichte der 50er Jahre lassen sich an drei Büchern festmachen, und das sind Cartier-Bressons Decisive Moment von 1952, sowie Life is Good and Good for you in New York von William Klein (1956) und The Americans von Robert Frank (1958)…. Diese drei Bildbände hatten eine nachhaltige Wirkung auf die Fotoszene, die bis zum Ende der 60er Jahre anhielt….“
Tja irgendwie entdecke ich in diesen Zeilen nicht auflösbare Widersprüche und/oder unerwähnte wichtige Informationen. Wenn das Buch von Frank erst zwanzig Jahre danach zum wichtigsten Fotobuch erklärt wurde und sich vorher nicht verkaufte, dann kann die Wirkung auf die Fotoszene zu dieser Zeit nicht vorhanden gewesen sein.
Mythos und Legende sagte man früher. Es ist das Problem der Rückschau, die manches erklärt, was real so nicht war.
Der Autor Wolfgang Kemp will ja erklärtermaßen eine Geschichte der Fotografie schreiben, in der die Fotografie als künstlerisches Medium favorisiert wird. Da sollte zumindest der Hinweis nicht fehlen, dass grundlegende Voraussetzung finanzielle Unabhängigkeit sein sollte, wenn man Fotokunst machen und verkaufen will und je reicher umso erfolgreicher.
Und vielleicht muß man sein Buch dann so sehen wie er selbst es an einer Stelle formulierte: „Baudelaire wünschte sich Fotografien mit der Unschärfe einer Zeichnung. Er wusste, daß nur unscharfe, vage Züge die nötige „Assoziationstätigkeit“ auslösen, um Erinnerungen anzuregen.“
So gesehen entspricht die Umsetzung des Buches dem Anspruch an Fotokunst von Baudelaire.
Aber das Buch klärt auch auf.
Wissen Sie, was ein Autorenfotograf ist?
„1979 führte Klaus Honnef den Begriff in Anlehnung an den „Autorenfilmer“ ein und meinte eine Spezies von Fotograf mit einer „Haltung zur Wirklichkeit“, die sich „durch eine individuelle Sichtweise zu erkennen gibt. In diese Rubrik würde man Größen wie … Atget, Sander einordnen, in unserer Zeit die Bechers… Später nannte man das Projekt.“
So landen wir mitten in der Projektfotografie, die zeitlich eine bestimmte Haltung hat?
Einfach cool wie frei man da assoziieren kann.
Während Wolfgang Kemp Einzelfotos von Henri Cartier-Bresson aus seinem Buch Decisive Moment als Fotokunst einordnet, weil diese Fotos einfach wie klassische Gemälde aussehen und etwas Reales erzählen, begründet er dies bei Robert Frank ganz anders: „Nicht unerwähnt bleiben darf, dass Frank anders als die Generation Cartier-Bresson enormen Wert … auf die durchkomponierte Abfolge … gelegt hat.“ Und er zitiert Colin Westerbeck: „.. in dem das zufällige Detail eines Bildes … in den nächsten Bildern wieder auftaucht.“
Als grobe Karte mit speziellem Blick finde ich das Buch von Kemp gut, wenn man es einordnet in den Rahmen von Erkenntnis und Interesse. Ich halte ihm sehr zugute, daß er Henri Cartier-Bresson und seiner Fotografie noch einen Platz in seinem kleinen Buch einräumt, was andere ja schon nicht mehr tun, wenn sie zurückblicken.
Und er packt beim gedanklichen Gang in die Gegenwart nicht alles unsortiert zusammen. Manche Sätze von ihm sind ausgesprochen klug, wenn er beispielsweise darüber schreibt, daß Cartier-Bressons Fotos oft zu gut sind, um in einem journalistischen Kontext verbraucht zu werden und Garry Winogrands Fotos oft zu wenig Nachrichtenwert haben, um in einem journalistischen Kontext verbraucht zu werden. Beides ist primär also nicht Presse sondern visuelle Publizistik, soziale Reflektion – Fotokunst?
Es steckt viel in diesem kleinen Büchlein, das hier zu dieser gedanklichen Auseinandersetzung führte.
Aber besonders freue ich mich, daß ich noch einmal das Buch von Martina Mettner herausholen konnte, das mir wegweisend erscheint für die eigene, persönliche Auseinandersetzung mit der Fotografie im eigenen Leben. Dieses Buch führte damals zu dem Artikel, der bis heute nichts von seiner Aktualität und Klarheit für mich verloren hat.
.. und hier zu einem Stelldichein geführt hat.