Neuheit ist die neue Sucht. Und wer zuerst das neue Produkt hat und posten kann, der ist in diesem Moment sehr oft sehr glücklich. Und weil das so ist und dieser Moment so schnell vergeht, muß es kurz darauf schon wieder etwas Neues geben, das man posten kann. Das ist bestimmt so wie auf Droge. Wenn es nachläßt, muß man nachlegen.
Dieser Zwang zur Neuheit erreicht in digitalen Zeiten eine neue Dimension. Immer schneller gibt es immer „neue“ Produkte, die für den Moment des Bekommens glücklich machen.
Und so kann ich beobachten, daß vor nicht einmal einem Jahr ein Smartphone vorgestellt wurde, das Fotos macht, wenn man auf den Rahmen drückt. Kurz darauf wurde ein Smartphone vorgestellt, das durch künstliche Intelligenz Fotos fast immer so zu zeigen versucht, dass sie schön aussehen. Und nachdem ein Kameramodul entwickelt wurde mit einem optischen Dreifachzoom kommen nun die ersten Smartphones auf den Markt mit drei Minikameras und dem neuen Kameramodul. Zusätzlich gibt es nun ein Smartphone mit 16 Objektiven und, und, und. Dies alles in nicht mal einem Jahr. So befriedigt man die Sucht der Neuheit.
Die Aussagen der Werbung stimmen natürlich nur sehr begrenzt. Eine Aussage wie die, daß damit eine DSLR ersetzt wird, stimmt nie, weil eine DSLR ein offenes System ist. Was stimmt ist die Tatsache, daß eine gute Smartphonekamera die Bildqualität einer Kompaktkamera ersetzt, die vor mehr als fünf Jahren auf den Markt war, wenn man unberücksichtigt läßt, daß die Kompaktkamera viel flexibler war und ist.
Aber das ist egal, wenn es um Neuheit geht, weil da immer nur der Vergleich unter den Neuen zählt und nicht unter allen Produkten. So erleben wir gerade wie die Smartphoneindustrie als Fotoindustrie für immer neue Glücksfotografie sorgt, weil man in dem Glauben ist, man habe die aktuell beste Smartphonekamera, mit der man Fotos macht.
Und dann die Preise!
Selbst auf stern.de fragt ein Autor danach, wieso diese Smartphones so teuer (überteuert) sind.
Der Preis der Neuheit, sonst nichts.
Das ist die Glücksfotografie im Leben im Zeitalter des Habens.
Und nun kommen wir zur Glücksfotografie im Leben im Zeitalter des Seins.
Dafür brauchen wir nichts Neues, nur ein älteres gutes Smartphone und eine ältere Digitalkamera jenseits des Smarthpones. Und schon können wir von der neuen zur wahren Glücksfotografie vorstoßen.
Diese besteht darin mit der Fotografie wie in einer immer neuen Performance zu leben. Die Fotografie wird zum ständigen Begleiter als Mittel, um sich mit der sozialen Welt und der eigenen Lebenszeit auseinanderzusetzen, um sich selbst im Sein zu begegnen und dies zu leben.
Wer den Schritt vom Haben zum Sein macht, der kann die Zone der neuen Glücksfotografie verlassen und die Region der wahren Glücksfotografie erreichen.
Im „schlimmsten“ Fall geht es so weit, daß man die dann gemachten Fotos gar nicht mehr öffentlich zeigen will, weil man sich selbst genügt. Wer so weit ist, der hat den Zustand erreicht, um den es geht.
Wer lieber mit dem neusten Produkt seine neuen Fotos zeigen will, der ist noch voll im Reich des Habens. Das ist eben eine andere Welt.
Diese ist nicht „schlechter“ aber meiner Meinung nach nur durch das Verlassen und den Wechsel in die Welt des Seins wirklich sinnvoll nutzbar ohne in den Suchtmodus zu verfallen.
Als Fan der Ricoh GR will ich nicht verhehlen, daß nur durch die immer neue Weiterentwicklung dieser Kamera es zu der wunderbaren Ricoh GR II kam. Hätte da die Sucht nach dem neuen Modell und der Kauf der vorhergehenden Modelle nicht funktioniert, hätte es dieses neue Kamera wohl nie gegeben. Die Ricoh wurde mit den Kunden weiterentwickelt. Insofern braucht es beide Welten, um mit der Fotografie in digitalen Zeiten zu leben und von der neuen zur wahren Glücksfotografie zu gelangen.
Viel Glück!