Es mag banal klingen aber es ist sehr konkret. Wenn die Orte der Erinnerung weg sind, dann können fast nur noch Fotos oder besondere Gegenstände den Erinnerungen einen Platz verschaffen.
Dabei denke ich weniger an Personen als an soziale Veränderungen im öffentlichen Raum.
Mir fiel es auf als ich Orte besuchte, an denen vorher wichtige Industrieunternehmen waren.
Es gibt dort keine architektonische Erinnerungskultur mehr. Die Orte wurden „überschrieben“ mit neuer Architektur, die funktional ist. Dort kann man wohl kaum noch gemeinsam soziale Erlebnisse haben, geschweige denn wesentliches für die Charakterbildung erleben.
Wo stolze Industrieunternehmen waren, sind heute Ausgabestellen für den Massenkonsum. Das ist eben ein Wesensmerkmal der neuen Zeit an einem Ort wie Remscheid.
Wirklich Neues gibt es nicht und so werden Erinnerungsflächen ersetzt durch Konsumflächen.
Weil man nichts mehr sieht, ist man auf Fotografien angewiesen. Diese wirken allein aber auch nur begrenzt. Sie wirken aber zumindest solange wie die Menschen noch da sind, die vorher an diesen Orten ihre sozialen Erlebnisse, ihre berufliche Sozialisation oder ihre Tradition hatten.
Wenn sie gestorben sind, sprechen auch diese Fotografien nicht mehr.
Umgekehrt wird mir hier gerade bewußt, wie wichtig Fotos an diesen Orten sind.
Hätte ich doch noch mehr fotografiert, höre ich mich sagen. Aber das stimmt auch nur begrenzt.
Und sobald man den öffentlichen Raum verläßt und private Fotosammlungen auflöst, wenn jemand verstorben ist, dann merkt man das. Denn es sind nur die Erinnerungen dieser einen Person gewesen und die meisten drumherum wissen damit gar nichts mehr anzufangen.
So endet oft ein Leben und damit eine Welt. Anders ist es eher an öffentlichen Orten, die lange und tief Menschen prägten.
Aber Erinnerungskultur entsteht mit Fotos erst dann, wenn man sie in einen Zusammenhang einordnet. Und deshalb möchte ich noch einmal auf den Artikel und die damit verbundenen anderen Texte hinweisen, die diesen Gedanken hier zugrunde liegen.
Damit wechsle ich zur zweiten Dimension.
Die alten Fotos (eventuell nur im Kopf) vor der Veränderung und dann neue Fotos nach der Veränderung ermöglichen vielleicht auch ein Überschreiben von Erinnerungen und schlechten Erfahrungen im Kopf durch freiere und bessere Gedanken.
Stellen Sie sich vor, sie gehen durch eine Straße und überall werden Sie an Situationen in den Häusern erinnert, in denen Sie kämpfen mußten.
Die meisten gehen da weg und wollen dort nie wieder hin. So bleiben die alten Erinnerungen immer wach.
Nun wurde in den Straßen vieles neu gestaltet, die alten Menschen, die alten Kämpfe, die alten Schmerzen kann man dort nur noch im eigenen Kopf erleben und erleiden. Das ist die Gelegenheit für einen neuen Weg, der die alte Karte des Leidens durch eine neue Karte ersetzt und gute Erfahrungen an die alten Erfahrungen andockt und damit an solchen Stellen neue Erfahrungen und Erinnerungen ermöglicht.
Dann wird ein Ort und ein Erlebnis im besten Fall relativiert und das Gedächtnis lockert sich. Aus Schmerz wird vielleicht Schmerz und Freude und diese beiden ermöglichen das Auflösen festsitzender Pfähle im Kopf.
Es ist der Weg durch die Erinnerungen. Dabei kann die Fotografie als Medium helfen, im ersten Schritt sogar als Mittler zwischen dem Blick auf das Alte im Kopf und dem Neuen vor Ort. Die Kamera ist dazwischen und ermöglicht neue Blicke.
So kann man Teil der Gegenwart werden und bleibt nicht gefangen in dem was mal war. Darin liegt die Chance, wenn man so unterwegs im eigenen Leben ist.