Ein Interview auf spiegel.de mit Albert Watson hat mich so lange beschäftigt, daß es zu diesen Zeilen führte.
Er bringt darin ein paar Dinge auf den Punkt, die mit einer Umwertung mancher Werte zu tun haben:
„Eine der neuen Stars auf dieser Bühne ist Gigi Hadid. Ich konnte kaum glauben, dass sie mehr als 50 Millionen Follower auf Instagram hat. Wenn sie ein Selfie mit einer Tasse Kaffee postet, schreiben ihr eine Million Leute: Großartig! Wahnsinn! Wunderschön!
SPIEGEL: Was denken Sie darüber?
Watson: Für mich ist das surreal, seltsam – und ein Phänomen, das Andy Warhol vorhersah. Ich kann eines meiner – wie ich finde – guten Fotos auf Instagram hochladen und bekomme dafür vielleicht 1000 Likes. Poste ich aber einen Schnappschuss einer Ausstellungseröffnung in Moskau, bekomme ich 6000. Stellen Sie sich doch mal vor, van Gogh hätte damals seine berühmten Sonnenblumen auf Instagram veröffentlicht – und 50 Leute schauen sich das Bild dort an. Gleichzeitig kommentieren aber 50.000 Leute, wie irgendein Promi in Paris einen Kaffee trinkt.
SPIEGEL: Instagram hat die Balance zwischen Erfolg, Ruhm und Qualität verschoben.
Watson: Definitiv. Qualität spielt keine Rolle mehr. Warum sonst bekommt ein Foto von einer Giraffe, die ein Blatt frisst, vier Millionen Likes?“
Genau so ist es.
Fotos sind Sprache als Sprechmittel für den Alltag in sozialen Medien und in diesem Zusammenhang hier nicht mehr Fotografien als Nachfahren der Malerei. Likes beziehen sich auf die fotografisch beschriebene Tätigkeit und nicht auf das Foto als Fotografie.
Mein persönliches Problem ist nur, daß ich von denen, die hier angesprochen wurden, bisher keinen kannte. Insofern bin ich ein Nischenmensch, der sich Gedanken über dies hier macht, aber ich bin nicht dabei, weil mir meine Zeit dafür zu wichtig ist.
Es ist also auch eine Frage der sozialen Gebrauchsweisen der Fotografie. Sie ist sogar für Analphabeten zur Sprache geworden, weil man nur durch Symbole vom Knopf zum Foto und zum Verbreiten kommen kann.
Wir sind mitten in einer neuen Zeit.
- Lesen wird ersetzt durch Videos mit Sehen und Hören und das soziale Erreichen von Menschen im Kopf geschieht tatsächlich vielfach über Facebook und Instagram bei uns und mit anderen Namen in Asien.
- Dies ist mit einer inhaltlichen Überwachung verbunden, die dazu führt, daß nur das Zugelassene gezeigt wird, so daß Meinungsfreiheit zur Normenfreiheit wird und Kreativität jenseits davon praktisch verboten ist.
- Das absolute Denken wird durch das relativ Mögliche im vorgegebenen Rahmen der Mächtigen und / oder Regierenden begrenzt.
Wenn ich zu den Beobachtungen von Albert Watson zurückkehre, dann ergeben sich daraus ja einige Fragen. Ich frage mich, was denn Qualität ist und ich frage mich auch, welche soziale Gruppe jeweils relevant ist?
Da für mich soziale Netzwerke eigentlich keine Rolle spielen, gehöre ich ja nur sehr indirekt dazu.
Wie relevant sind denn Likes für die eigene Fotografie in sozialen Netzwerken? Gehen denn die, die dort liken, auch auf die Webseiten der Gelikten? Gibt es dadurch sogar verkaufsfähige Fotografie?
Ich gehöre doch auch zu sozialen Gruppen, wenn ich Facebook nicht nutze und Instagram nicht zum täglichen Gucken nutze. Was dominiert und was wird verschwiegen?
Wie muß man das alles einordnen?
Das wird mich noch länger beschäftigen, deshalb hören meine Zeilen hier auf.