Es gibt an einem Tag Momente, die bleiben haften. Als ich morgens vom Zug durch den Tunnel zur Photokina ging, bot sich mir genau das Bild, das sie gerade sehen. Weil ich mein Smartphone in der Hand hatte, nahm ich diese Ansicht sofort auf.
Was war das, was sollte das? Auf den ersten Blick wirkt es wie ein Bedrohungsszenario. Da steht mitten im Tunnel mit dem Licht im Rücken eine Person und blockiert. Daneben liegt etwas …. Beruhigend war der Mann im Hintergrund, der die Treppe hochging. Man konnte also an dieser Situation vorbeigehen.
Als ich auf die Person zuging, sah ich, daß sie mit der Kamera am Unterleib Fotos in meine Richtung machte und den Tunnel oder mich und andere im Tunnel aufnahm.
Und direkt daneben lag ein Mann. War er leblos? Beim Vorbeigehen sah ich, daß er eher jung und sympathisch aussah. Er lag in einem Schlafsack und schien zu schlafen.
Es war irgendwie bizarr.

Als ich an dem Fotografierenden vorbeiging und den schlafenden Mann sah, war mir klar, daß dies ein „gutes“ Spanner- und Elendsfoto geworden wäre. Es hätte von sozialem Leid und fotografischer Leidenschaft gehandelt und alle Bedürfnisse des Voyeurismus befriedigt.
Aber ich habe dieses Foto nicht gemacht, weil ich Elend und Fotografie so nicht zeigen wollte und der Mensch am Boden es nicht verdient hätte.
Dennoch bleibt genau dieses nicht mit der Kamera aufgenommene Foto in meinem Gedächtnis, ich sehe es sogar direkt vor mir.
Sie sehen nur das Foto, das ich mit dem Smartphone aufgenommen habe und ich sehe das Foto, das ich nach diesem Foto aus der Nähe mit dem Kopf aufgenommen habe.
So entstehen Fotos im Kopf ohne Kamera.