Die Photokina 2016 ist für mich ein guter Ort, um soziale Gebrauchsweisen der Fotografie zu beobachten.
Man konnte z. B. gut Privilegien bei Informationen sehen. So gab es für privilegierte Blogger exklusive Informationen, damit sie auch die Neuerungen mit Werbung gekoppelt in die Welt bringen konnten so wie hier zu sehen.
Aber sie war auch mehr.
Denn der Wandel war in ihr. Die Dominanz der Smartphones war da aber genau durch diesen Zwang zur Abgrenzung wurde nun auch wieder deutlich, was eine gute Digitalkamera an Mehrwert bietet.
Zwei oder drei Jahre zuvor wollten noch alle alles machen. Die perfekte Symbiose waren damals die Panasonic CM1, eine komplette Digitalkamera mit 1er Sensor plus gutem Android-Smartphone oder die Samsung Galaxy Kamera mit der Bedienoberfläche eines Smartphones.
Davon ist jetzt keine Rede mehr.
Die Kamerahersteller merken, daß die Käufer eigenständige Kameras wollen und erkennen die neuen parallelen Welten an. Fotografieren und Fotografieren ist eben doch nicht dasselbe je nach Funktion und Anspruch. Und sie sind ziemlich optimistisch wie man jetzt auch lesen kann:
„PIV-Chef Führes ist dennoch alles andere als besorgt. Im Gegenteil: Er spricht sogar von „riesigen Wachstumschancen“ für die seit Jahren schrumpfende Branche. „Nach herkömmlichen Kriterien erhobene Statistiken verkennen die sich wandelnde Marktsituation“, beschwert sich der Manager über die aus seiner Sicht zu eindimensionale Betrachtung von Verkaufszahlen. „Dass die große Zahl abgesetzter Kameras über die Jahre nicht zu halten ist, wussten wir bereits vor dem Boom mit Smartphones“, sagt Führes. Er will seine Branche in Zukunft ohnehin eher als „Imaging“-Industrie verstanden wissen statt als Fotoindustrie. „Weil das dazugehörige Ökosystem an Breite gewinnt und neue Segmente von enormer Wertschöpfung hervorbringt.“
Während der Trend zur Miniaturisierung bei klassischen Digitalkameras abgeschlossen erscheint, ist der Trend zu riesigen Sensoren gerade erst angelaufen. Hinzu kommen fliegende Augen in und auf Drohnen. 360 Grad Kameras und Actionscams als neue Minicams mit Video und Fotofunktion sind überall zu sehen.
Und dann die Softwarehersteller in Halle 9 und Halle 4!
Immer mehr exklusive Angebote, um quasi ein Portfolio in einer Gemeinschaft zu zeigen, wobei ich das nicht verstehe. Ein Gespräch bei der fotocommunity blieb mir dabei besonders in Erinnerung. Als besonderes Premium-Angebot gab es für einmalig 24 Euro für das erste Jahr einen Zugang, bei dem man pro Woche zehn Fotos hochladen konnte. Ich dachte erst, dies sei ein Druckfehler, aber eine freundlich Dame erklärte mir, daß nur die besten Fotos gezeigt werden sollten. Und dafür soll ich bezahlen? Hmmmm. Eine eigene Webseite erscheint mir da freier und günstiger.
Viele Shoplösungen waren zu sehen und erstaunlich viele Cloudlösungen, bei denen aber nie klar war, was denn passiert, wenn der Anbieter dann doch nicht mehr da ist. Ich fand keine befriedigende Antwort auf die Frage, warum die eigene Webseite nicht die beste und sicherste Lösung ist. Aber nun gut.
Da durch das Erdbeben in Japan in diesem Jahr die fehlende Sensorenproduktion bei Sony viele Firmen getroffen hat, waren die Folgen sichtbar durch nicht sichtbar: Kameras fehlten einfach. Und weil die Reederei Hanjin insolvent ist, sind zigtausend Container mit Digitalkameras und Zubehör irgendwo auf den Weltmeeren und dürfen nicht an Land gebracht werden.
Zugleich ist die Entkoppelung von Messe und Fotoszene ein Problem. Allein der halbstündige Shuttle-Service von Olympus zum Carlswerk zeigte die Problematik. Wer nicht viele Tage Zeit hat, der hat dafür einfach keine Zeit. Und dann noch durch Köln gehen zu den anderen Ausstellungen? Dafür würde eine Drohne kaum reichen, eher müßte Scotty uns dorthin beamen.
Wahrscheinlich durch Merkels Grenzöffnung bedingt war auf der Photokina keine Menschenschieberei angesagt, dafür riesig viel Sicherheit. Viel Platz und erstaunlich viel Zeit, um sich zu unterhalten, waren die Folge, sozusagen das Gute vom Schlechten.
Am Freitag waren sehr viele mit einer Fuji X100 um den Hals zu sehen und HüftgurtträgerInnen mit riesigen Teleobjektiven bis zu den Knien. Viele gehen bestimmt auch zur Photokina, um zu zeigen, was sie tragen.
Und ihre Leidenschaft tragen sie dabei auch mit sich. Insofern ist dies dann eine sehr schöne Energie, die dort fließt.
Die Weltmesse der Fotografie wurde nach meinem Gefühl zu einem Teil der neuen Welt.
Alles ist nun da, weil auch alle dabei sind. Und mir wurde auch klar, wer auf der Photokina war, der hatte eigentlich immer neben dem Smartphone auch mindestens eine gute Digitalkamera dabei. Dafür gibt es ja auch gute Gründe.
Insofern hat die Photokina 2016 gezeigt, daß die digitalen Möglichkeiten eine Bereicherung sein können.
Aber die Defizite sind eben auch da. Es fehlen einfach Szenetreffpunkte, wo sich alle treffen können, die sich dazugehörig fühlen – und wenn es nur eine Halle auf dem Gelände und nicht in den Hallen wäre, die auch noch nach 18 Uhr geöffnet hätte, direkt am Bahnhof.
Das wäre dann die Transzendenz der Messe zu einer grenzenlosen Welt des kommunikativen Imaging.
Für mich ganz persönlich ist die Photokina 2016 auch ein Übergang gewesen.
Ich konnte mich von dieser schönen Welt in der bisherigen Form verabschieden, von der ich so gerne ein Teil war. Es war meine Schwelle vom Idealismus zum Realismus. Erstmals konnte ich es sehen und aushalten. Und so konnte ich auf dieser Messe alle meine Illusionen lassen über soziale Beziehungen, gemeinsame Interessen und Fotografie jenseits der Illusionen.
Es zählt sozial nur der Kommerz als alleiniges Interesse – eben Messe. Die sozial erlebnisreichen Messen von 2010 und 2012 waren da viel besser und boten sozial fotografisch mehr – nicht zu verwechseln mit social networking, das ja soziale Kontakte eher verhindert.
Aber da gab es auch noch nicht unendlich viele Fotofestivals und Fotoausstellungen, die in ihrer Dezentralität eben auch nicht den zentralen Anlaufpunkt der Photokina ersetzen, wo man die technische und soziale fotografische Welt damals an einem Ort treffen konnte – und jetzt leider nicht mehr.
Fachliche technische Diskussionen sind auf der Photokina sehr hoch. Und in diesem Jahr wurde ich sehr oft persönlich angesprochen, weil man vorher schnell auf meine Webseite unter fotosxxl.de geschaut hatte und meine Themen und meine Fotos anstossen als Teil selbst erlebter sozialer Wirklichkeit.
So ist dieser Artikel das Ergebnis von 8 anderen Artikeln, meinen Beobachtungen und den dort gesammelten Erlebnissen:
- Photokina 2016 – Statussymbole neu verteilt
- Die Photokina – Treffpunkt der alten Nazis
- Das Presseschild als Adblocker – Erfahrungen rund um die Photokina
- Wieviel Kamera braucht der Mensch – Gedanken vor der Photokina 2016
- Kaufen Sie bis 2016 keine neue Kamera
- Photokina 2016 – Mit der Ricoh GR die Wahrheit einfangen
- 10 Points – Ein Tag Fotografieren mit dem Smartphone oder warum ich bei Digitalkameras bleibe
- Die Entkoppelung von decisive moment und street photography
Das war die Schwelle, die ich überqueren mußte. Nun bin ich auf dem neuen Weg als Wanderer mit der Kamera und ohne Kamera:
„Ich sah einen Wandrer am Wegesrand ruh´n
und fragte: „Warum sitzt du hier?
Und lebst nicht ein Leben wie´s andere tun?“
Da sagte der Wandrer zu mir:
Ihr habt nie die Sterne gezählt,
die Schönheit der Welt blieb für euch ein Traum.
Euch hat nie die Sonne gefehlt,
und wenn sie auch scheint, ihr seht es ja kaum.“
Diese Strophe aus dem Lied Der Wanderer entstand übrigens vor der Erfindung der kleinen Kameras…
In diesem Sinne
Nachtrag – Dieser Artikel gefällt sogar der photokina:
Bezogen auf die neue Mittelformat Kamera von Fuji die oben erwähnt wurde, muss ich Fuji mein Kompliment aussprechen. Gekonnt lassen sie das Vollformat links liegen, und überlassen den anderen drei großen Kontrahenten den Kriegsschauplatz „Vollformat“.
Wenn es wirklich so sein sollte, dass die Fujifilm GFX 50S so viel wie eine Vollformatkamera der Konkurrenz kosten soll, also unter 5000 Euro, dann überlegen sich viele eine Neuanschaffung einer Vollformat erstmal bei Seite zu legen.
An the Winner is Fuji 🙂