Erst kamen die Maler und setzten Menschen in Szene. Das nannte man – und nennt man – lebendes Bild oder Tableau vivant.
Dann kamen die ersten Fotografen und setzten die Menschen in Szene. In beiden Fällen dauerte es seine Zeit bis das Bild fertig war.
Erst später konnten die Kameras schneller fotografieren und aus dem lebenden Bild wurde die Moment-Photographie.
Und heute?
Heute können wir jeden Augenblick festhalten und jeden Moment fotografieren. Aber oft reicht dies nicht. In der Werbung, in der PR oder in der Phantasie entstehen Bilder, die keine Abbildungen der Wirklichkeit sind sondern Botschaften vermitteln sollen.
Also muß man dann eine Phantasiewelt als bildhafte Wirklichkeit inszenieren und kommt zurück zu den Anfängen, den lebenden Bildern.
So schließt sich der Kreis.
Jamari Lior hat dazu ein Buch erstellt, das unter der Überschrift „Inszenierte Peoplefotografie“ eine ganze Reihe von Fotografen und ihre Vorstellungen von Inszenierung zeigt.
Das Buch ist meiner Meinung nach sehr gut gemacht, zudem sehr praktisch und mit vielen Beispielfotos ausgestattet. Breite und Tiefe zu diesem Thema werden dadurch gut vermittelt.
Für mich war dieses Buch besonders interessant, weil ich so etwas überhaupt nicht näher kenne. Für mich stand immer das Abbilden von Augenblicken der echten Realität im Vordergrund. Für mich gab es auch immer nur das ungestellte Portrait.
In dem Buch bin ich auf eine Welt gestoßen, die mir völlig fremd ist aber wahrscheinlich fotografisch von viel mehr Menschen gelebt wird als meine Welt.
Deshalb bin ich eingetaucht in diese Welt durch dieses Buch und kann nur Gutes berichten. Das Buch ist wirklich ür die Praxis gemacht.
Sie weist darauf hin, daß viele Frauen es mögen, nackt bzw. halbnackt fotografiert zu werden, aber eben als Teil eines größeren Ganzen, das meistens dann als Fotokunst bezeichnet wird. Und die dabei vorhandene Aufmerksamkeit, das Studio und auf der anderen Seite die Kreativität des Fotografen bei der Inszenierung eines solchen lebendigen Bildes ergeben eine kreative Nutzung der Lebenszeit mit selbst gestalteten Inhalten.
Das ist natürlich völlig anders als Abbildungen der vorgefunden Realität auch im Alltag.
Vielleicht ist es die andere Seite: weil die Realität so grau ist fasziniert die Inszenierung?
Es ist zumindest eine wunderbare Welt, die ich hier entdecken konnte.
Das Buch führt anhand der Begegnungen der Autorin als Model mit den Fotografen und klarer Rollenverteilung (Männer fotografieren, Frauen lassen sich fotografieren) in die jeweilige Arbeitsweise ein und wird sehr konkret.
So entstand ein Buch, welches wirklich im Kopf und vor der Linse hilfreich ist, wenn es um Inszenierungen mit Menschen geht.
Es gibt ja auch noch andere Formen inszenierter Fotografie – aber ohne Menschen. Aktuell sehr beliebt ist es Essen zu inszenieren. Das nennt sich Foodfotografie.
Inszenierte Menschenfotografie bzw. Peoplefotografie ist etwas anderes als Foodfotografie – aber auch als Porträtfotografie.
Beim Porträt steht die Person im Mittelpunkt und nicht die Inszenierung.
So habe ich hier gelernt, inszenierte Peoplefotografie bedeutet das Model ist wesentlicher Bestandteil des Bildes und ohne Model würde das Bild nicht wirken.
Und mir persönlich zeigt das Buch von Jamari Lior eine mir bis dahin völlig unbekannte fotografische Welt. So hilft es auch bei dem Entdecken der eigenen Phantasie und der eigenen Grenzen.
Es ist im dpunkt Verlag erschienen.
Jamari Lior
Inszenierte Peoplefotografie
Modelle, Kostüme, Posen und Sets – Menschen konzeptuell in Szene gesetzt
ISBN: 978-3-86490-131-7