Das ist doch noch mal große Reportagefotografie!
Als die Fotos noch die Welt bestimmten war die Blütezeit der Reportagefotografie.
Und wir haben das Glück, nun ein Buch anschauen zu dürfen, welches uns dies noch einmal vor Augen führt.
Interessanterweise liefert das Buch den Beweis dafür, daß gute Reportagefotografie auch heute ihren Platz hat, weil sie durch andere Medien nicht ersetzbar ist.
Als Medium für Print und Web ist sie in der Kombination sicherlich ein Haltepunkt für das Auge, wenn sie so gut ist wie hier und wenn es einen Markt dafür gibt.
Aber ohne die Zeitung derstandard wäre dieses Buch nicht entstanden – und die Fotos wohl auch nicht.
Klassisch gute Fotografie und ein klassisch gut gemachtes Buch sind das beste, was zusammenkommen kann.
Es ist in diesem Fall dabei ein Buch mit Fotos in einer Art herausgekommen, wie ich sie in Deutschland in den letzten Jahren nicht gesehen habe.
Im Epilog des Buches findet Gregor Auenhammer die richtigen Worte für die Fotos von Matthias Cremer. „Er dekuvrierte das Verborgene, das Geheime, das Geheimnisvolle, entlarvte das Echte, das Ehrliche. Authentisch, ungeschönt und nicht gestellt. Nie aber desavouierend.“
Jedes Foto erzählt eine Geschichte und liefert echte Reportagefotografie und viel Politisches. Das ist in der deutschsprachigen Welt selten geworden. In Deutschland fast verschwunden und hier in Österreich neu aufgetaucht.
Es ist zudem ein Geschichtsbuch der besonderen Art und es ist lehrreich, wenn man sich den Fluss der Zeit anschaut.
Fotografisch ist besonders der Übergang von den monochromen Fotos zu den Farbfotos bemerkenswert.
Ändern sich dadurch auch die Inhalte, werden aus Abläufen eher Detailgeschichten? Darüber läßt sich diskutieren. Aber es ändert sich fotografisch etwas.
1988 gründete Oscar Bronner die unabhängige Tageszeitung der Standard. Der Tag ihres ersten Erscheinens, der 19. Oktober, veränderte die österreichische Medienlandschaft. Der Standard bedeutete nicht nur einen inhaltlichern, sondern auch einen visuellen Paradigmenwechsel. Dafür, dass die Bildsprache des Standard die Optik der gesamten heimischen Zeitungslandschaft radikal und nachhaltig verändert hat, zeichnet in letzter Konsequenz auch Matthias Cremer verantwortlich. Seine Bilder waren anders – lebendiger, erzählender, zum Schmunzeln anregend oder zum Innehalten.
Er begann seine fotografische Arbeit bereits vor Beginn der vorgefertigten Reden von Politikern und Staatsmännern, suchte seine Motive vor der obligaten Formierung zum Gruppenfoto, hielt das Währenddessen und den oft aussagekräftigen Abgang fest, fotografierte die bekannten Gesichter dieser Welt genauso wie subtile menschliche Ereignisse. Seinen Kritikern wusste er stets augenzwinkernd mit einem Statement Cartier-Bressons zu kontern: „Schärfe ist ein bourgeoises Konzept.“
Das Buch hält dies nun alles im Zusammenhang fest und ist zugleich eine Vorlage für Menschen, die sich in der Reportagefotografie ausprobieren wollen. Hier wird gezeigt und dadurch erzählt, klug Neugier weckend aufgeteilt für Geschichten und die Geschichten neben den Geschichten …
In der Edition Lammerhuber ist dieses mit viel Liebe zum Detail produzierte Buch erschienen. Es ist ein Buch mit Charakter und viel Inspiration geworden – für die politische Diskussion, für die Reportagefotografie, für die Veränderungen in der Politik und vieles mehr.
Matthias Cremer
Oscar Bronner, Gregor Auenhammer, Wolfgang Weisgram
29,5 x 30,5 cm, 252 Seiten, 223 Fotos
Deutsch
Hardcover
ISBN 978-3-901753-62-6